Dr. Johannes Mallow ist Gedächtnistrainer und Gedächtnissportler. Falls Ihnen sein Name bekannt vorkommt, dann vielleicht, weil er 2012 und 2018 Gedächtnisweltmeister wurde und schon des Öfteren in den Medien zu sehen und zu hören war.
Wer eine Rede halten und ohne Stichwortzettel auskommen möchte, kann viel von Johannes lernen. Im Interview spreche ich mit ihm u. a. darüber, wie seine Gedächtnistechnik – die sogenannte Loci-Methode – funktioniert und wie wir sie anwenden können, um anschauliche und freie Reden zu halten. Auch darüber, wie uns das Namen Lernen leichter fällt, sprechen wir.
Johannes Mallow lebt seit vielen Jahren in Magdeburg, Gedächtnistraining bietet er für Kinder und Erwachsene aber weltweit an. Auf seiner Website können Sie mehr über ihn und seine Arbeit erfahren.
Lieber Johannes, Du bist schon zweimal Gedächtnisweltmeister geworden. Kannst Du sagen, welche Eigenschaften Du hast, die Dir das ermöglicht haben?
Zum einen: Sturheit. Außerdem quäle ich mich selbst gern und lasse mir nicht vorschreiben, was ich kann oder nicht kann. Wenn etwas schwer ist und unmöglich erscheint, dann sage ich: »Klar kann das gehen!« Zum anderen: Wenn ich mich für irgendwas interessiere und mich darauf fokussiere, kann ich das auch wirklich durchziehen. Das ist der Wunsch und Wille mich weiterzuentwickeln und zu verbessern.
Als Sprechwissenschaftlerin leite ich mehrmals im Jahr Seminare. Oft sind es ganz neue Gruppen, die ich nach Ende des Seminars nicht wiedersehen werde. Inzwischen bin ich gut darin, mir Namen für einen ganzen Tag zu merken. Wenn ich Personen in einem anderen Kontext wieder treffe, kann es allerdings gut sein, dass mir der Name nicht mehr einfällt. Hast Du dafür einen Tipp für mich?
Ich glaube, dass das eine total normale Sache ist. Auch deshalb, weil die Namen in irgendeiner Weise mit dem Setting, mit dem Raum oder mit der Umgebung verknüpft sind. Ich glaube, es würde helfen, wenn Du bewusst darauf achtest, die Person noch mehr mit dem Namen zu verknüpfen. Es ist leichter, wenn Du den Namen bewusster an die Person hängst, mit einem kleinen Bild oder einer kleinen Geschichte.
Zwei Beispiele: Stell Dir vor, Andreas trägt Ohrringe, die aussehen wie kleine Andreaskreuze oder Sonja sonnt sich gerne und zwar das ganze Jahr über. Wenn Du Dir das bildlich vorstellst, hast Du eine Chance, dass der Name an der Person hängt und nicht der Name nur in dem Setting funktioniert.
Du kannst am Anfang Deines Kurses etwas einbauen, eine Geschichte zum Namen lernen in der Vorstellungsrunde. Manche stellen sich automatisch mit einem Zusatz vor, weil der Name besonders geschrieben wird, z. B. »Mallow mit Doppel-L und ow« oder »Debora ohne h«. Das kann auch ein Element für Deinen Kurs sein: Wenn sich die Leute bewusster mit dem jeweiligen Namen ansprechen können, schafft das eine andere Verbindung, eine Nähe. Wenn Du die Person nach einer Weile wieder triffst und den Namen noch kennst, ist es ein ganz anderes Standing, als wenn Du anfängst mit »Ey, wie war nochmal der Name?«.
Du könntest auch in der Vorstellungsrunde das Lieblingsessen nennen lassen, das mit dem Buchstaben des Namens anfängt, z. B. »Ich heiße Luisa und esse gern Lasagne.« Da hast Du eine automatische Verknüpfung und die Leute liefern Dir sogar eine eigene Merkbrücke.
Was ist, wenn ich zum Beispiel auf einer Netzwerkveranstaltung bin und in kürzester Zeit mit verschiedenen Menschen ins Gespräch komme. Wenn ich später eine Vernetzungsanfrage bei LinkedIn stellen will und keine Visitenkarte bekommen habe, sitze ich vor meinem Laptop und mir fallen nicht mehr alle Namen ein. Hast Du Empfehlungen, wie ich in so einer Situation – ohne Stift und Smartphone – die Namen behalte?
Was hier wirklich hilft, ist, die Person mit dem Namen anzusprechen, auch im Gespräch. »Herr Schulze, schön Sie kennenzulernen!«, »Markus, Du hast mir doch erzählt, dass …«. Im Gespräch den Namen nutzen – nicht zu oft natürlich, das wäre ein bisschen komisch –, das ist super hilfreich.
Der zweite Tipp ist ganz praktisch: Schreib Dir die Namen auf. Ich weiß, Du willst Dir das ohne Stift und ohne Smartphone merken, aber wenn Du eine ruhige Minute hast, abends im Hotelzimmer oder an Deinem Schreibtisch, schreib die Namen, die Du Dir heute gemerkt hast, gleich auf. Einfach sofort, sobald die Möglichkeit da ist.
Wir beide haben uns schon oft miteinander unterhalten. Ich weiß, dass Du ein sehr guter Zuhörer bist – Du schweigst, fällst nicht ins Wort (außer für Verständnisfragen) und hältst Blickkontakt. Du machst Dir keine Notizen, kannst nach meinem Redebeitrag aber immer auf das Gesagte eingehen, Du erinnerst Dich an Details und knüpfst daran an. Das bewundere ich sehr. Wie machst Du das und können das andere auch lernen?
Ich habe da konkret nicht so wirklich eine Methodik, die ich anwende. Zumindest meistens nicht. Wenn ich mit Dir im Gespräch bin, dann ist es ein interessantes Gespräch, sowieso, weil es mich interessiert, was Du zu erzählen hast, weil ich spannend finde, wie Du auf irgendwas reagiert hast. Wenn das Interesse besteht, kann ich deutlich besser folgen.
Andere aussprechen lassen, das ist auch essentiell. Ich habe gelernt, dass Informationen erst dann vollständig sind, wenn Du die Person aussprechen lässt. Manchmal kommen noch Informationen nach. Früher war ich der Zuhörer unter meinen Freund*innen und Bekannten. Das hat mir immer Spaß gemacht und war immer mein Ding. Das gibt mir auch die Möglichkeit, wenig von mir selbst zu erzählen, wenn ich das möchte. Das ist ideal, um Gespräche zu lenken und möglichst bedeckt zu bleiben, wenn es um die eigenen Sachen geht (zwinkert).
Hier erklärt Johannes in einem Video das genaue Vorgehen der Loci-Methode.
In längeren Gesprächen, wenn ich mit meinem Kollegen und meinem Professor zusammensitze, dann habe ich mir in Gedanken eine Notiz mit Hilfe der Loci-Methode gemacht. Ganz kurz nur. Ich habe an den ersten Ort eine kurze Notiz gemacht, was die Person da gesagt hat, an den zweiten und den dritten Ort auch, und das reicht meistens schon. Das sind oft nicht mehr als fünf Punkte. Und dann gehe ich es bei der Antwort ab und sage in dem Fall: »Als erstes hast Du das gesagt, als zweites das …«. Mit Gewohnheit und wenn Du das öfter gemacht hast, brauchst Du diese Methodik nicht unbedingt. Ich kann es aber Leuten empfehlen, die das noch nicht gewöhnt sind. Das kannst Du gut machen in dem Raum in dem Du Dich gerade befindest. Die Person sitzt Dir gegenüber – links von ihr ist ein Bild, hinter ihr ist ein Kühlschrank und rechts steht ein Mülleimer. Und dann würde ich die drei Themen, die die Person angesprochen hat, an diese drei Sachen hängen. Dann hast Du es im Raum. Das ist sehr technisch, aber insgesamt ist das eine Frage der Routine und des Trainings.
Vor ein paar Jahren saß ich im Opernhaus. Kurz vor Beginn des Chorkonzertes ging eine Person auf die Bühne und holte einen A4-Zettel raus, von dem eine Rede Wort für Wort abgelesen wurde. Blickkontakt war dabei kaum möglich. Dieses Erlebnis hat mich nachhaltig beschäftigt, ich nutze es gern, um aufzuzeigen, wie viel eleganter und zuhörfreundlicher ein Stichwortzettel (eine Karteikarte o. ä.) wäre. Noch schöner wäre es natürlich, wenn jemand gänzlich frei reden könnte, so entsteht noch mehr Zugewandtheit zum Publikum. Wie können wir uns die Inhalte einer Rede gut merken?
Karteikarten, das hast Du selbst schon gesagt, sind natürlich ein deutlich besseres Mittel, weil Du »umblättern« kannst. Du hast Deinen Stichpunkt und suchst nicht in einer langen Stichpunktliste nach dem nächsten Thema. Wichtig ist, dass Du das Sprechen vorher schonmal geübt hast. Das ist eine Grundvoraussetzung.
Du kannst auch die Loci-Methode anwenden, von der ich gerade gesprochen habe. Im Vorfeld schreibst Du die Stichpunkte nicht auf Karteikarten, sondern legst sie anhand Deines Weges ab. Das heißt: Das, was auf Deiner ersten Karteikarte als Stichpunkt steht, hast Du auf Deinem Weg und dann ist es genau derselbe Weg wie bei den Karteikarten. Allerdings gehst Du diesmal Deinen Weg in Gedanken ab. Das funktioniert genauso gut und wirkt sehr frei und klar.
Was ich trotzdem empfehlen kann: die ersten vier, fünf Sätze des Vortrags auswendig zu lernen – Wort für Wort. Manchmal gibt es Sachen, die Du direkt reinbringen willst, die gleich reinhauen sollen usw. Da ergibt es schon Sinn, die ersten fünf Sätze zu üben, mit den genauen Worten, mit der Stimmlage, mit der Aussprache, mit dem, was Du transportieren willst.
Dann ist es sinnvoll, frei zu sprechen. Je öfter Du über ein Thema frei gesprochen hast, desto besser kannst Du das auch kundtun und darüber frei reden.
Da ich oft mit Menschen arbeite, denen das freie Reden vor (vielen) Menschen nicht so leicht fällt: Weißt Du etwas über einen Zusammenhang zwischen der Verbesserung des Gedächtnisses und der Reduktion von Lampenfieber oder Nervosität vor öffentlichen Auftritten?
Ich habe dazu keinerlei Studien gelesen, wissenschaftlich habe ich keine Ahnung. Aber ich glaube, wenn Du einen Skill hast und wenn Du weißt, dass Du ihn hast und ihm vertraust, wirst Du weniger nervös sein. Wenn Du weißt, Du kannst das, Du hast das geübt, Du hast das im Kopf, das ist sicher, dann – das ist meine Erfahrung – bist Du weniger nervös. Das mag nicht für jede*n zutreffen in dem gleichen Maße, weil manche extremes Lampenfieber haben, aber je mehr Du Deiner eigenen Sache sicher bist, desto besser. Da ist der Start in Deinen Vortrag eine gute Sache. Wenn Du fünf Sätze gelernt hast, bist Du schon drin und es fällt Dir leichter.
Eine andere Sache: Viele Leute üben ihren Vortrag nur in einem Setting. Wenn ich meine Sachen nur zuhause vor dem Spiegel übe, dann ist das zwar gut, aber wenn ich es nur vor diesem einen Spiegel übe, hat das Gehirn auch mein ganzes Gefühl: ich stehe hier und rede. Die einzelnen Stichpunkte, also das ganze Setting ist dann auf diesen Spiegel programmiert. Sobald ich woanders bin, ist alles weg, weil das Setting nicht dasselbe ist. Wenn Du nur in Deiner vertrauten Umgebung übst, hat sich das Gehirn ein bisschen an diese Situation gewöhnt. Dann ist das Abrufen des Skills und das Gefühl, entspannt zu sein, ruhig zu sein und das zu können, auch sehr stark mit der Situation verknüpft.
Bisher thematisiere ich die Gestaltung eines Stichwortkonzeptes in meinen Seminaren. Gern würde ich auch einen Block zum Auswendiglernen einer Rede einbauen. Gibt es Übungen oder Spiele, um das Gedächtnis meiner Teilnehmenden zu stärken und gleichzeitig die Fähigkeit zu verbessern, sich Reden oder Namen zu merken?
Im Grunde geht es darum, die Loci-Methode zu vermitteln und zu testen. Ich mache das selbst auch in meinen Seminaren, die in erster Linie Gedächtnistrainings sind. Ich nutze das oft gleich zur Vorstellungsrunde. Die Leute lenken ihr Gedächtnis anhand eines Weges durch den Raum, in dem sie sich zehn Dinge merken, die zur Vorstellung der Person gehören. Sie sollen sich den anderen vorstellen ohne auf einen Zettel zu gucken und die Dinge in einer bestimmten Reihenfolge nennen: Name, Wohnort, Beruf, Lieblingsessen usw. Ich habe an den zehn verschiedenen Orten im Raum, die wir uns vorher zusammen festlegen, zehn Stichpunkte. Am ersten Ort ist ein großes Namensschild, am zweiten Ort stellst Du Dir ein bestimmtes Merkmal aus dem eigenen Wohnort vor, z. B. den Dom in Magdeburg. Und so weiter.
Nun stelle ich mir vor, dass ich eine Rede oder einen Vortrag halte. Vielleicht präsentiere ich in einem Seminar auch ein Modell, das den Teilnehmenden später noch in Erinnerung bleiben soll. Gibt es Strategien, um die Zuhörenden während meines Vortrags besser einzubeziehen, damit die Inhalte gut behalten werden?
Hier funktioniert alles, was ungewöhnlich ist, aus der Reihe tanzt und die Leute ein bisschen aufweckt: Ein Bild, eine kleine Geschichte, was Lustiges, im Grunde genau das, was ich beim Gedächtnistraining einbaue.
Bewegung ist auch ganz nett. Die Leute können während des Vortrags oder Seminars wenn möglich etwas in Gruppenarbeit machen, oder aufstehen und hinsetzen. Natürlich nur in dem Maße, wie das geht. Sowas ist ein anderer Reiz und das merkt man sich dann bestimmt auch besser. In Mehr-Tages-Seminaren lohnt es sich, viel Abwechslung zu haben. Da lasse ich die Leute gern woanders hinsetzen. Die Leute sitzen immer am selben Platz, zwei Tage lang. Wenn ich dann sage »Setzen Sie sich heute bitte woanders hin!« ist es irgendwie anders, dann verwischen die Tage auch nicht so untereinander. Die Personen sind sich meistens bewusster, was sie am ersten und am zweiten Tag gemacht haben, weil die Aufnahme einfach an einem anderen Ort stattfindet, unter einem anderen Blick. Das hat mehr Gewicht, als man vielleicht denkt.
Eine Frage zum Schluss: Kannst Du mir einen oder zwei Tipps geben, wie ich mein Gedächtnis im Alltag trainieren kann, um fit zu bleiben?
Ich finde, dass Du immer wieder versuchen solltest, Dir einfachste Dinge zu merken, eine dreistellige Zahl oder drei Sachen auf der Einkaufsliste zum Beispiel. Die Leute merken sich häufig nicht mal eine zweistellige Zahl. Wenn Du das nicht versuchst, wird das auch nicht funktionieren. Ich habe den Eindruck, dass viele sich überhaupt nichts mehr zutrauen, was das Gedächtnis betrifft. Beim Gleis nicht ständig auf die Fahrkarte zu gucken, um zu wissen, dass ich zum Gleis 7 muss, sondern sich vorzustellen, dass die Sieben Zwerge am Gleis stehen, ist schon eine kleine Gedächtnisübung.
Hab ruhig mehr Vertrauen in Dein eigenes Gedächtnis. Ich glaube, das hilft, und dann wirst Du auch sehen, dass Du das besser kannst, als Du vielleicht dachtest. Irgendwo hingehen ohne Google Maps, ohne Karte unterwegs sein, das ist eine schöne Sache. Leute rennen heutzutage doch gegen einen Baum, wenn sie Google Maps benutzen (grinst). So nach dem Motto: »Ich muss jetzt da lang.« – »Da sind Bäume.« – »Sagt aber Google Maps.« Das ist ein bisschen übertrieben gesagt, aber das ist meine Erfahrung mit Menschen. 😉
Vielen Dank für Deine Zeit und die Antworten, lieber Johannes!
Mein Name ist Debora Diehl und ich arbeite als Rhetorik- und Aussprachetrainerin. In meinem Newsletter schreibe ich über Themen rund um mündliche Kommunikation, über Rhetorik, Stimme und Aussprache. Manchmal gebe ich auch Buchtipps und berichte über meinen Blog.
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Dr. Johannes Mallow ist Gedächtnistrainer und Gedächtnissportler. Falls Ihnen sein Name bekannt vorkommt, dann vielleicht, weil er 2012 und 2018 Gedächtnisweltmeister wurde und schon des Öfteren in den Medien zu sehen und zu hören war.
Wer eine Rede halten und ohne Stichwortzettel auskommen möchte, kann viel von Johannes lernen. Im Interview spreche ich mit ihm u. a. darüber, wie seine Gedächtnistechnik – die sogenannte Loci-Methode – funktioniert und wie wir sie anwenden können, um anschauliche und freie Reden zu halten. Auch darüber, wie uns das Namen Lernen leichter fällt, sprechen wir.
Johannes Mallow lebt seit vielen Jahren in Magdeburg, Gedächtnistraining bietet er für Kinder und Erwachsene aber weltweit an. Auf seiner Website können Sie mehr über ihn und seine Arbeit erfahren.
Lieber Johannes, Du bist schon zweimal Gedächtnisweltmeister geworden. Kannst Du sagen, welche Eigenschaften Du hast, die Dir das ermöglicht haben?
Zum einen: Sturheit. Außerdem quäle ich mich selbst gern und lasse mir nicht vorschreiben, was ich kann oder nicht kann. Wenn etwas schwer ist und unmöglich erscheint, dann sage ich: »Klar kann das gehen!« Zum anderen: Wenn ich mich für irgendwas interessiere und mich darauf fokussiere, kann ich das auch wirklich durchziehen. Das ist der Wunsch und Wille mich weiterzuentwickeln und zu verbessern.
Als Sprechwissenschaftlerin leite ich mehrmals im Jahr Seminare. Oft sind es ganz neue Gruppen, die ich nach Ende des Seminars nicht wiedersehen werde. Inzwischen bin ich gut darin, mir Namen für einen ganzen Tag zu merken. Wenn ich Personen in einem anderen Kontext wieder treffe, kann es allerdings gut sein, dass mir der Name nicht mehr einfällt. Hast Du dafür einen Tipp für mich?
Ich glaube, dass das eine total normale Sache ist. Auch deshalb, weil die Namen in irgendeiner Weise mit dem Setting, mit dem Raum oder mit der Umgebung verknüpft sind. Ich glaube, es würde helfen, wenn Du bewusst darauf achtest, die Person noch mehr mit dem Namen zu verknüpfen. Es ist leichter, wenn Du den Namen bewusster an die Person hängst, mit einem kleinen Bild oder einer kleinen Geschichte.
Zwei Beispiele: Stell Dir vor, Andreas trägt Ohrringe, die aussehen wie kleine Andreaskreuze oder Sonja sonnt sich gerne und zwar das ganze Jahr über. Wenn Du Dir das bildlich vorstellst, hast Du eine Chance, dass der Name an der Person hängt und nicht der Name nur in dem Setting funktioniert.
Du kannst am Anfang Deines Kurses etwas einbauen, eine Geschichte zum Namen lernen in der Vorstellungsrunde. Manche stellen sich automatisch mit einem Zusatz vor, weil der Name besonders geschrieben wird, z. B. »Mallow mit Doppel-L und ow« oder »Debora ohne h«. Das kann auch ein Element für Deinen Kurs sein: Wenn sich die Leute bewusster mit dem jeweiligen Namen ansprechen können, schafft das eine andere Verbindung, eine Nähe. Wenn Du die Person nach einer Weile wieder triffst und den Namen noch kennst, ist es ein ganz anderes Standing, als wenn Du anfängst mit »Ey, wie war nochmal der Name?«.
Du könntest auch in der Vorstellungsrunde das Lieblingsessen nennen lassen, das mit dem Buchstaben des Namens anfängt, z. B. »Ich heiße Luisa und esse gern Lasagne.« Da hast Du eine automatische Verknüpfung und die Leute liefern Dir sogar eine eigene Merkbrücke.
Was ist, wenn ich zum Beispiel auf einer Netzwerkveranstaltung bin und in kürzester Zeit mit verschiedenen Menschen ins Gespräch komme. Wenn ich später eine Vernetzungsanfrage bei LinkedIn stellen will und keine Visitenkarte bekommen habe, sitze ich vor meinem Laptop und mir fallen nicht mehr alle Namen ein. Hast Du Empfehlungen, wie ich in so einer Situation – ohne Stift und Smartphone – die Namen behalte?
Was hier wirklich hilft, ist, die Person mit dem Namen anzusprechen, auch im Gespräch. »Herr Schulze, schön Sie kennenzulernen!«, »Markus, Du hast mir doch erzählt, dass …«. Im Gespräch den Namen nutzen – nicht zu oft natürlich, das wäre ein bisschen komisch –, das ist super hilfreich.
Der zweite Tipp ist ganz praktisch: Schreib Dir die Namen auf. Ich weiß, Du willst Dir das ohne Stift und ohne Smartphone merken, aber wenn Du eine ruhige Minute hast, abends im Hotelzimmer oder an Deinem Schreibtisch, schreib die Namen, die Du Dir heute gemerkt hast, gleich auf. Einfach sofort, sobald die Möglichkeit da ist.
Wir beide haben uns schon oft miteinander unterhalten. Ich weiß, dass Du ein sehr guter Zuhörer bist – Du schweigst, fällst nicht ins Wort (außer für Verständnisfragen) und hältst Blickkontakt. Du machst Dir keine Notizen, kannst nach meinem Redebeitrag aber immer auf das Gesagte eingehen, Du erinnerst Dich an Details und knüpfst daran an. Das bewundere ich sehr. Wie machst Du das und können das andere auch lernen?
Ich habe da konkret nicht so wirklich eine Methodik, die ich anwende. Zumindest meistens nicht. Wenn ich mit Dir im Gespräch bin, dann ist es ein interessantes Gespräch, sowieso, weil es mich interessiert, was Du zu erzählen hast, weil ich spannend finde, wie Du auf irgendwas reagiert hast. Wenn das Interesse besteht, kann ich deutlich besser folgen.
Andere aussprechen lassen, das ist auch essentiell. Ich habe gelernt, dass Informationen erst dann vollständig sind, wenn Du die Person aussprechen lässt. Manchmal kommen noch Informationen nach. Früher war ich der Zuhörer unter meinen Freund*innen und Bekannten. Das hat mir immer Spaß gemacht und war immer mein Ding. Das gibt mir auch die Möglichkeit, wenig von mir selbst zu erzählen, wenn ich das möchte. Das ist ideal, um Gespräche zu lenken und möglichst bedeckt zu bleiben, wenn es um die eigenen Sachen geht (zwinkert).
Rein technisch: In längeren Gesprächen, wenn ich mit meinem Kollegen und meinem Professor zusammensitze, dann habe ich mir in Gedanken eine Notiz mit Hilfe der Loci-Methode gemacht. Ganz kurz nur. Ich habe an den ersten Ort eine kurze Notiz gemacht, was die Person da gesagt hat, an den zweiten und den dritten Ort auch, und das reicht meistens schon. Das sind oft nicht mehr als fünf Punkte. Und dann gehe ich es bei der Antwort ab und sage in dem Fall: »Als erstes hast Du das gesagt, als zweites das …«. Mit Gewohnheit und wenn Du das öfter gemacht hast, brauchst Du diese Methodik nicht unbedingt. Ich kann es aber Leuten empfehlen, die das noch nicht gewöhnt sind. Das kannst Du gut machen in dem Raum in dem Du Dich gerade befindest. Die Person sitzt Dir gegenüber – links von ihr ist ein Bild, hinter ihr ist ein Kühlschrank und rechts steht ein Mülleimer. Und dann würde ich die drei Themen, die die Person angesprochen hat, an diese drei Sachen hängen. Dann hast Du es im Raum. Das ist sehr technisch, aber insgesamt ist das eine Frage der Routine und des Trainings.
Hier erklärt Johannes in einem Video das genaue Vorgehen der Loci-Methode.
Vor ein paar Jahren saß ich im Opernhaus. Kurz vor Beginn des Chorkonzertes ging eine Person auf die Bühne und holte einen A4-Zettel raus, von dem eine Rede Wort für Wort abgelesen wurde. Blickkontakt war dabei kaum möglich. Dieses Erlebnis hat mich nachhaltig beschäftigt, ich nutze es gern, um aufzuzeigen, wie viel eleganter und zuhörfreundlicher ein Stichwortzettel (eine Karteikarte o. ä.) wäre. Noch schöner wäre es natürlich, wenn jemand gänzlich frei reden könnte, so entsteht noch mehr Zugewandtheit zum Publikum. Wie können wir uns die Inhalte einer Rede gut merken?
Karteikarten, das hast Du selbst schon gesagt, sind natürlich ein deutlich besseres Mittel, weil Du »umblättern« kannst. Du hast Deinen Stichpunkt und suchst nicht in einer langen Stichpunktliste nach dem nächsten Thema. Wichtig ist, dass Du das Sprechen vorher schonmal geübt hast. Das ist eine Grundvoraussetzung.
Du kannst auch die Loci-Methode anwenden, von der ich gerade gesprochen habe. Im Vorfeld schreibst Du die Stichpunkte nicht auf Karteikarten, sondern legst sie anhand Deines Weges ab. Das heißt: Das, was auf Deiner ersten Karteikarte als Stichpunkt steht, hast Du auf Deinem Weg und dann ist es genau derselbe Weg wie bei den Karteikarten. Allerdings gehst Du diesmal Deinen Weg in Gedanken ab. Das funktioniert genauso gut und wirkt sehr frei und klar.
Was ich trotzdem empfehlen kann: die ersten vier, fünf Sätze des Vortrags auswendig zu lernen – Wort für Wort. Manchmal gibt es Sachen, die Du direkt reinbringen willst, die gleich reinhauen sollen usw. Da ergibt es schon Sinn, die ersten fünf Sätze zu üben, mit den genauen Worten, mit der Stimmlage, mit der Aussprache, mit dem, was Du transportieren willst.
Dann ist es sinnvoll, frei zu sprechen. Je öfter Du über ein Thema frei gesprochen hast, desto besser kannst Du das auch kundtun und darüber frei reden.
Da ich oft mit Menschen arbeite, denen das freie Reden vor (vielen) Menschen nicht so leicht fällt: Weißt Du etwas über einen Zusammenhang zwischen der Verbesserung des Gedächtnisses und der Reduktion von Lampenfieber oder Nervosität vor öffentlichen Auftritten?
Ich habe dazu keinerlei Studien gelesen, wissenschaftlich habe ich keine Ahnung. Aber ich glaube, wenn Du einen Skill hast und wenn Du weißt, dass Du ihn hast und ihm vertraust, wirst Du weniger nervös sein. Wenn Du weißt, Du kannst das, Du hast das geübt, Du hast das im Kopf, das ist sicher, dann – das ist meine Erfahrung – bist Du weniger nervös. Das mag nicht für jede*n zutreffen in dem gleichen Maße, weil manche extremes Lampenfieber haben, aber je mehr Du Deiner eigenen Sache sicher bist, desto besser. Da ist der Start in Deinen Vortrag eine gute Sache. Wenn Du fünf Sätze gelernt hast, bist Du schon drin und es fällt Dir leichter.
Eine andere Sache: Viele Leute üben ihren Vortrag nur in einem Setting. Wenn ich meine Sachen nur zuhause vor dem Spiegel übe, dann ist das zwar gut, aber wenn ich es nur vor diesem einen Spiegel übe, hat das Gehirn auch mein ganzes Gefühl: ich stehe hier und rede. Die einzelnen Stichpunkte, also das ganze Setting ist dann auf diesen Spiegel programmiert. Sobald ich woanders bin, ist alles weg, weil das Setting nicht dasselbe ist. Wenn Du nur in Deiner vertrauten Umgebung übst, hat sich das Gehirn ein bisschen an diese Situation gewöhnt. Dann ist das Abrufen des Skills und das Gefühl, entspannt zu sein, ruhig zu sein und das zu können, auch sehr stark mit der Situation verknüpft.
Bisher thematisiere ich die Gestaltung eines Stichwortkonzeptes in meinen Seminaren. Gern würde ich auch einen Block zum Auswendiglernen einer Rede einbauen. Gibt es Übungen oder Spiele, um das Gedächtnis meiner Teilnehmenden zu stärken und gleichzeitig die Fähigkeit zu verbessern, sich Reden oder Namen zu merken?
Im Grunde geht es darum, die Loci-Methode zu vermitteln und zu testen. Ich mache das selbst auch in meinen Seminaren, die in erster Linie Gedächtnistrainings sind. Ich nutze das oft gleich zur Vorstellungsrunde. Die Leute lenken ihr Gedächtnis anhand eines Weges durch den Raum, in dem sie sich zehn Dinge merken, die zur Vorstellung der Person gehören. Sie sollen sich den anderen vorstellen ohne auf einen Zettel zu gucken und die Dinge in einer bestimmten Reihenfolge nennen: Name, Wohnort, Beruf, Lieblingsessen usw. Ich habe an den zehn verschiedenen Orten im Raum, die wir uns vorher zusammen festlegen, zehn Stichpunkte. Am ersten Ort ist ein großes Namensschild, am zweiten Ort stellst Du Dir ein bestimmtes Merkmal aus dem eigenen Wohnort vor, z. B. den Dom in Magdeburg. Und so weiter.
Nun stelle ich mir vor, dass ich eine Rede oder einen Vortrag halte. Vielleicht präsentiere ich in einem Seminar auch ein Modell, das den Teilnehmenden später noch in Erinnerung bleiben soll. Gibt es Strategien, um die Zuhörenden während meines Vortrags besser einzubeziehen, damit die Inhalte gut behalten werden?
Hier funktioniert alles, was ungewöhnlich ist, aus der Reihe tanzt und die Leute ein bisschen aufweckt: Ein Bild, eine kleine Geschichte, was Lustiges, im Grunde genau das, was ich beim Gedächtnistraining einbaue.
Bewegung ist auch ganz nett. Die Leute können während des Vortrags oder Seminars wenn möglich etwas in Gruppenarbeit machen, oder aufstehen und hinsetzen. Natürlich nur in dem Maße, wie das geht. Sowas ist ein anderer Reiz und das merkt man sich dann bestimmt auch besser. In Mehr-Tages-Seminaren lohnt es sich, viel Abwechslung zu haben. Da lasse ich die Leute gern woanders hinsetzen. Die Leute sitzen immer am selben Platz, zwei Tage lang. Wenn ich dann sage »Setzen Sie sich heute bitte woanders hin!« ist es irgendwie anders, dann verwischen die Tage auch nicht so untereinander. Die Personen sind sich meistens bewusster, was sie am ersten und am zweiten Tag gemacht haben, weil die Aufnahme einfach an einem anderen Ort stattfindet, unter einem anderen Blick. Das hat mehr Gewicht, als man vielleicht denkt.
Eine Frage zum Schluss: Kannst Du mir einen oder zwei Tipps geben, wie ich mein Gedächtnis im Alltag trainieren kann, um fit zu bleiben?
Ich finde, dass Du immer wieder versuchen solltest, Dir einfachste Dinge zu merken, eine dreistellige Zahl oder drei Sachen auf der Einkaufsliste zum Beispiel. Die Leute merken sich häufig nicht mal eine zweistellige Zahl. Wenn Du das nicht versuchst, wird das auch nicht funktionieren. Ich habe den Eindruck, dass viele sich überhaupt nichts mehr zutrauen, was das Gedächtnis betrifft. Beim Gleis nicht ständig auf die Fahrkarte zu gucken, um zu wissen, dass ich zum Gleis 7 muss, sondern sich vorzustellen, dass die Sieben Zwerge am Gleis stehen, ist schon eine kleine Gedächtnisübung.
Hab ruhig mehr Vertrauen in Dein eigenes Gedächtnis. Ich glaube, das hilft, und dann wirst Du auch sehen, dass Du das besser kannst, als Du vielleicht dachtest. Irgendwo hingehen ohne Google Maps, ohne Karte unterwegs sein, das ist eine schöne Sache. Leute rennen heutzutage doch gegen einen Baum, wenn sie Google Maps benutzen (grinst). So nach dem Motto: »Ich muss jetzt da lang.« – »Da sind Bäume.« – »Sagt aber Google Maps.« Das ist ein bisschen übertrieben gesagt, aber das ist meine Erfahrung mit Menschen. 😉
Vielen Dank für Deine Zeit und die Antworten, lieber Johannes!
Mein Name ist Debora Diehl und ich arbeite als Rhetorik- und Aussprachetrainerin. In meinem Newsletter schreibe ich über Themen rund um mündliche Kommunikation, über Rhetorik, Stimme und Aussprache. Manchmal gebe ich auch Buchtipps und berichte über meinen Blog.
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