Im Mai 2025 wurde ich von Deutschlandfunk Nova interviewt. Es ging um das Thema »Dialekt und Identität« und darüber, wie wir einen Dialekt selbstbewusst sprechen können. Als Aussprachetrainerin bringe ich Menschen die hochdeutsche Aussprache bei. Oft begegne ich der Meinung, dass man dann den eigenen Dialekt verliert. Tatsächlich ist es aber so, dass Dialektsprechende, die zusätzlich Hochdeutsch beherrschen, sehr sprachflexibel sind und zwischen diesen beiden Formen switchen können.
Das Gespräch mit Przemek Żuk von Deutschlandfunk Nova hat mir großen Spaß gemacht. Herausgekommen ist ein 20-minütiger Beitrag, in dem Michelle zu Wort kommt, die aus Sachsen stammt und inzwischen überwiegend Hochdeutsch spricht. Es wird außerdem der Sprachwissenschaftler Mason Wirtz befragt, der zu Dialekten forscht. Und schließlich durfte ich als Sprechwissenschaftlerin und Aussprachetrainerin (aus einem ostdeutschen Bundesland) über mein fachliches Wissen zu diesem Thema sprechen.
In diesem Artikel berichte ich über die Themen aus meinem Interviewteil, warum Dialekte oft unterschätzt werden, was gesellschaftliche Vorurteile damit zu tun haben und wie Sie lernen können, Ihren Dialekt selbstbewusst und gezielt einzusetzen – statt ihn zu verstecken.
Dialekte sind keine »falschen« Varianten des Deutschen. Sie sind vollständige, historisch gewachsene Sprachsysteme, die regionale Zugehörigkeit, persönliche Identität und soziale Nähe ausdrücken. Wer Dialekt spricht, bringt Authentizität mit – und oft auch ein Stück Heimatgefühl.
Dennoch erleben viele, dass sie sich mit ihrem Dialekt unsicher fühlen – besonders im beruflichen Umfeld oder in überregionalen Kontexten. Warum ist das so?
Empirische Untersuchungen zeigen deutlich, dass Dialektsprechende oft als sympathisch und bodenständig wahrgenommen werden – gleichzeitig jedoch als weniger kompetent. Eine Metaanalyse der Freien Universität Berlin (2024) belegt, dass Nichtstandardsprecher*innen (dazu zählen Dialektsprechende und Menschen, die mit einem fremdsprachigen Akzent reden) bei Bewerbungsverfahren benachteiligt werden. Trotz gleicher Qualifikation werden sie als weniger geeignet eingeschätzt – weniger kompetent, weniger warmherzig und schlechter einstellbar.
Solche Urteile basieren nicht auf sprachlichen Mängeln, sondern auf sozialen Vorannahmen – das erklärt die sogenannte Normdekrethypothese. Diese Hypothese besagt, »dass die Umgebungsfaktoren, wie etwa soziale und gesellschaftliche Aspekte, dazu beitragen, ob eine Sprechweise stigmatisiert wird oder als prestigereich gilt«.
So wird etwa Sächsisch in Umfragen oft als unsympathisch bewertet – nicht, weil es klanglich schlechter wäre, sondern weil es gesellschaftlich mit bestimmten Vorstellungen assoziiert wird. Es scheint auch relevant zu sein, wer zu diesem Thema befragt wird. In einer repräsentativen Umfrage von 2017 wird unter den ersten fünf sympathischen Dialekten Norddeutsch, Bairisch, Schwäbisch und Sächsisch genannt. Interessant ist, dass dieselben Dialekte auch unter den ersten fünf unsympathischen genannt werden, wie in der Grafik unten zu sehen ist. Sächsisch ist dort jedoch an erster Stelle, bei den sympathischen Dialekten an fünfter Stelle.
Aus: Aktuelle Bewertungen regionaler Varietäten des Deutschen. Erste Ergebnisse der Deutschland-Erhebung 2017 (Adler/Plewnia 2020)
Was umgangssprachlich als Hochdeutsch bezeichnet wird, nennen Wissenschaftler*innen seit Jahren Standarddeutsch, u. a. um hier die Wertung aus dem Begriff zu nehmen. Standarddeutsch ist eine für alle verständliche (daher überregionale) und eine kodifizierte Varietät der deutschen Sprache – sie ist also in Wörterbüchern und Grammatiken festgeschrieben. Besonders im Bildungswesen, in den Medien oder beim öffentlichen Sprechen gilt sie als Maßstab. Zur Standardsprache gehört auch die Standardaussprache, die in Aussprachewörterbüchern festgehalten ist.
Es besteht keine Pflicht, Standarddeutsch zu sprechen – in bestimmten Berufsgruppen wird der Standard aber erwartet, wie bei Nachrichtensprecher*innen, Schauspieler*innen, Sprachpädagog*innen oder Lehrer*innen im Bereich Deutsch als Fremdsprache. In anderen Kontexten ist der Gebrauch des Dialekts weder verboten noch unangebracht.
Ich arbeite als Rhetorik- und Aussprachetrainerin und unterstütze Menschen dabei, die deutsche Standardaussprache zu erlernen oder zu verfeinern – etwa für berufliche oder mediale Kontexte, in denen Standarddeutsch erwartet wird oder hilfreich ist. Dabei erlebe ich immer wieder: Wer dialektal geprägt ist, bringt meist eine hohe Sprachsensibilität und Flexibilität mit – das ist ein großer Vorteil im Training.
Standarddeutsch und die Standardaussprache zu beherrschen kann Türen öffnen – es ermöglicht Verständlichkeit, Professionalität und situative Anpassung. Aber: Es sollte eine Erweiterung des sprachlichen Repertoires sein, kein Ersatz der eigenen sprachlichen Identität.
In der Sprachwissenschaft ist es gut dokumentiert: Wir alle passen unsere Sprache situativ an. Im Bewerbungsgespräch verwenden wir meist eine andere Sprachform als beim Gespräch mit Freunden und Freundinnen. Diese Anpassung kann zwischen Standarddeutsch, Umgangssprache und Dialekt wechseln – je nach Kontext. Dialekt ist dabei eine Variante unter vielen.
Wer in bestimmten Situationen auf Hochdeutsch umschaltet, handelt nicht falsch. Es sollte eine bewusste Entscheidung sein – nicht aus Angst vor Vorurteilen, sondern aus kommunikativer Absicht.
Ob Bairisch, Sächsisch, Schwäbisch oder Hessisch: Jeder Dialekt ist ein sprachliches Kulturgut. Er erzählt etwas über Herkunft, Geschichte und Identität – und bereichert unsere Gesellschaft.
Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn rundherum Hochdeutsch gesprochen wird. Wählen Sie Ihre Sprache bewusst – und mit Stolz. Denn Sprache lebt von Vielfalt, und kein Mensch – und kein Dialekt – ist weniger wert, nur weil er anders klingt.
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Das Gespräch mit Przemek Żuk von Deutschlandfunk Nova hat mir großen Spaß gemacht. Herausgekommen ist ein 20-minütiger Beitrag, in dem Michelle zu Wort kommt, die aus Sachsen stammt und inzwischen überwiegend Hochdeutsch spricht. Es wird außerdem der Sprachwissenschaftler Mason Wirtz befragt, der zu Dialekten forscht. Und schließlich durfte ich als Sprechwissenschaftlerin und Aussprachetrainerin (aus einem ostdeutschen Bundesland) über mein fachliches Wissen zu diesem Thema sprechen.
In diesem Artikel berichte ich über die Themen aus meinem Interviewteil, warum Dialekte oft unterschätzt werden, was gesellschaftliche Vorurteile damit zu tun haben und wie Sie lernen können, Ihren Dialekt selbstbewusst und gezielt einzusetzen – statt ihn zu verstecken.
Dialekte sind keine »falschen« Varianten des Deutschen. Sie sind vollständige, historisch gewachsene Sprachsysteme, die regionale Zugehörigkeit, persönliche Identität und soziale Nähe ausdrücken. Wer Dialekt spricht, bringt Authentizität mit – und oft auch ein Stück Heimatgefühl.
Dennoch erleben viele, dass sie sich mit ihrem Dialekt unsicher fühlen – besonders im beruflichen Umfeld oder in überregionalen Kontexten. Warum ist das so?
Empirische Untersuchungen zeigen deutlich, dass Dialektsprechende oft als sympathisch und bodenständig wahrgenommen werden – gleichzeitig jedoch als weniger kompetent. Eine Metaanalyse der Freien Universität Berlin (2024) belegt, dass Nichtstandardsprecher*innen (dazu zählen Dialektsprechende und Menschen, die mit einem fremdsprachigen Akzent reden) bei Bewerbungsverfahren benachteiligt werden. Trotz gleicher Qualifikation werden sie als weniger geeignet eingeschätzt – weniger kompetent, weniger warmherzig und schlechter einstellbar.
Solche Urteile basieren nicht auf sprachlichen Mängeln, sondern auf sozialen Vorannahmen – das erklärt die sogenannte Normdekrethypothese. Diese Hypothese besagt, »dass die Umgebungsfaktoren, wie etwa soziale und gesellschaftliche Aspekte, dazu beitragen, ob eine Sprechweise stigmatisiert wird oder als prestigereich gilt«.
So wird etwa Sächsisch in Umfragen oft als unsympathisch bewertet – nicht, weil es klanglich schlechter wäre, sondern weil es gesellschaftlich mit bestimmten Vorstellungen assoziiert wird. Es scheint auch relevant zu sein, wer zu diesem Thema befragt wird. In einer repräsentativen Umfrage von 2017 wird unter den ersten fünf sympathischen Dialekten Norddeutsch, Bairisch, Schwäbisch und Sächsisch genannt. Interessant ist, dass dieselben Dialekte auch unter den ersten fünf unsympathischen genannt werden, wie in der Grafik unten zu sehen ist. Sächsisch ist dort jedoch an erster Stelle, bei den sympathischen Dialekten an fünfter Stelle.
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Was umgangssprachlich als Hochdeutsch bezeichnet wird, nennen Wissenschaftler*innen seit Jahren Standarddeutsch, u. a. um hier die Wertung aus dem Begriff zu nehmen. Standarddeutsch ist eine für alle verständliche (daher überregionale) und eine kodifizierte Varietät der deutschen Sprache – sie ist also in Wörterbüchern und Grammatiken festgeschrieben. Besonders im Bildungswesen, in den Medien oder beim öffentlichen Sprechen gilt sie als Maßstab. Zur Standardsprache gehört auch die Standardaussprache, die in Aussprachewörterbüchern festgehalten ist.
Es besteht keine Pflicht, Standarddeutsch zu sprechen – in bestimmten Berufsgruppen wird der Standard aber erwartet, wie bei Nachrichtensprecher*innen, Schauspieler*innen, Sprachpädagog*innen oder Lehrer*innen im Bereich Deutsch als Fremdsprache. In anderen Kontexten ist der Gebrauch des Dialekts weder verboten noch unangebracht.
Ich arbeite als Rhetorik- und Aussprachetrainerin und unterstütze Menschen dabei, die deutsche Standardaussprache zu erlernen oder zu verfeinern – etwa für berufliche oder mediale Kontexte, in denen Standarddeutsch erwartet wird oder hilfreich ist. Dabei erlebe ich immer wieder: Wer dialektal geprägt ist, bringt meist eine hohe Sprachsensibilität und Flexibilität mit – das ist ein großer Vorteil im Training.
Standarddeutsch und die Standardaussprache zu beherrschen kann Türen öffnen – es ermöglicht Verständlichkeit, Professionalität und situative Anpassung. Aber: Es sollte eine Erweiterung des sprachlichen Repertoires sein, kein Ersatz der eigenen sprachlichen Identität.
In der Sprachwissenschaft ist es gut dokumentiert: Wir alle passen unsere Sprache situativ an. Im Bewerbungsgespräch verwenden wir meist eine andere Sprachform als beim Gespräch mit Freunden und Freundinnen. Diese Anpassung kann zwischen Standarddeutsch, Umgangssprache und Dialekt wechseln – je nach Kontext. Dialekt ist dabei eine Variante unter vielen.
Wer in bestimmten Situationen auf Hochdeutsch umschaltet, handelt nicht falsch. Es sollte eine bewusste Entscheidung sein – nicht aus Angst vor Vorurteilen, sondern aus kommunikativer Absicht.
Ob Bairisch, Sächsisch, Schwäbisch oder Hessisch: Jeder Dialekt ist ein sprachliches Kulturgut. Er erzählt etwas über Herkunft, Geschichte und Identität – und bereichert unsere Gesellschaft.
Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn rundherum Hochdeutsch gesprochen wird. Wählen Sie Ihre Sprache bewusst – und mit Stolz. Denn Sprache lebt von Vielfalt, und kein Mensch – und kein Dialekt – ist weniger wert, nur weil er anders klingt.
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